Husserls Erbe – Die pluralistische Gesellschaft

Kant geht von einem einheitlichen Verstand aus. Aufgrund dessen ist nur ein Gesetz, eine Moral, eine wahre Ordnung denkbar. Die Welt möge sich dem Einzelnen unterschiedlich zeigen, dennoch gibt es nur eine Welt, die mit dem allen gleich gegebenen Verstand bis zu einer gewissen Grenze erschlossen werden kann. Das entspricht auch den neuen Staatsformen zur Zeit der Aufklärung und den Grundlagen der französischen Revolution. Menschenrechte als für alle gleich geltende Rechte, die aus jedem Verstand, abzuleiten sind.

 

Für Husserl hingegen existiert keine Welt da draußen ohne das jemand zuschaut, die Welt betrachtet, sie sich vorstellt. Kant hätte zwar nie behauptet, das jemand die Welt da draußen so wie sie wirklich ist, also als Ding an sich erschließen könne, aber für ihn steht fest, draußen gibt es eine Welt, nur ich bin nicht in der Lage diese in ihrer Gesamtheit wahrzunehmen. Nicht so Husserl: Etwas ist erst (existiert erst) dadurch, dass es vorgestellt wird. Ein Wald in dem sich keiner befindet, und von dem keiner weiß, existiert nicht, da er nicht vorgestellt wird. Und da jeder aufgrund von Umwelt (Kultur) etwas anderes vorstellt muss es folglich eine Vielzahl von Welten geben. Für jedes Individuum sogar mehrere Heimwelten (Beruf, Familie), die sich mitunter überlappen, dennoch ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten folgen.

 

Das Husserlsche Denken spiegelt sich in ungeahnter starker Weise in unserem heutigen Denken wider. Husserl war es der die heute geläufigen Begriffe wie Lebenswelt, Fremdwelt und Heimwelt eingeführt hat. Der Satz „Der versteht das nicht, der lebt in einer anderen Welt“ ist jedem geläufig und verständlich, jedoch erst seit knapp 100 Jahren denkbar! Unsere Gesellschaft hat sich entfernt vom starren Festhalten von Sichtweisen – von der richtigen Sichtweise (besonders in der Geschichte, versucht kein Historiker zu beschreiben „Wie es wirklich war“). Wir entwickeln uns hin zu pluralistischen Sichtweisen aus verschiedenen Perspektiven – aus verschiedenen Lebenswelten. Husserl hilft uns weg von Schwarz-Weiß Richtersprüchen hin zu mediierten Lösungen in denen mehrere Sichtweisen als wahr akzeptiert werden. (Nov. 2010)




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